Anlässlich der Rise Up 4 Rojava Aktionswoche zum Welt-Kobane-Tag wurden in Lübeck hunderte Plakate, Sticker, Fahnen und mehrere Grafitti angebracht.Die Rahmenbedingungen, die Covid-19 schafft, lassen uns aus üblichen Handlungsmustern wie Massenveranstaltungen und Demos ausbrechen. Wir begrüßen die verschiedenen Aktionsformen zur Sichtbarmachung der Konflikte in Nordsyrien.
Ursprünglich riefen auch wir zur Demonstration am Samstag, 07.11.2020 auf, für die der folgende Redebeitrag geschrieben wurde:
Freiheit als Lebensrealität in dieser Welt?
Für uns eigentlich kaum vorstellbar. Wohin wir unseren Blick auch richten, sehen wir uns nur umgeben von einem menschenverachtenden Wirtschaftssystem und einem repressiven Staat. In unseren Gesellschaften kommen wir fast nie näher an die Idee von freien Räumen als maximal durch Hausbesetzungen. Aus dieser Perspektive heraus, in der Selbstbestimmung und das schöne Leben für alle so weit weg sind, ist es für uns umso hoffnungsvoller zu sehen, was fern von uns geschaffen wurde. Ein nicht allzu kleiner Freiraum in Autonomie und Solidarität existiert nämlich.
Und zwar in Kobane. Seit Assads Truppen im Jahr 2012 diese und andere Provinzen in Nordsyrien verließen, ist dort für viele Tausend Menschen ein freies Leben möglich geworden. Kurd*innen sowie viele andere Menschen leben dort in einer basisdemokratischen und selbstverwalteten Sozialökonomie. Doch das zieht Feind*innen an. Wie die Geschichte es und lehrt, muss die Schaffung von Freiräumen sich immer direkt danach gegen die Feind*innen der Freiheit behaupten. So war es in der Pariser Kommune, im anarchistischen Spanien, in der Machno-Bewegung, in sämtlichen besetzten Häusern Europas und so war es auch in Kobane. Im Jahr 2014 sahen die Verteidiger*innen Kobanes sich einer Streitmacht von 7000 Soldaten des IS gegenüber. Die internationalen Reaktionen auf diese Bedrohungen ließen uns wieder einmal erkennen, mit welchen Augen die Regierungen dieser Welt freiheitliche Bewegungen betrachten. Die Türkei verwehrte jede Unterstützung, die USA ließen verlauten, dass man Kobane eh für verloren halte, Deutschland zog sich aus der Verantwortung, die UNO schlug eine diplomatische Lösung vor und Frankreich uns Russland überlegten, eventuell einzugreifen. Fast die komplette Welt ließ die Menschen in Kobane im Angesicht ihres fast sicheren Todes im Stich.
Und trotzdem, wider aller Erwartungen und Feindseliger Umstände wurde der IS zurückgeschlagen und Kobane erneut befreit. Doch diese Verteidigung kostete das Leben hunderter freiheitlich denkender Menschen. Doch in Gedenken an sie müssen wir uns immer wieder gewahr werden, wer sie im Stich ließ und somit dafür sorgte, dass so viele erst sterben mussten. Es waren die Staaten dieser Welt. All jene Systeme für die nicht staatliche Organisation nur Bedrohung bedeutet. Damals vor sechs Jahren wurde dem Ruf um Solidarität mit den Kämpfer*innen in Kobane kaum Beachtung geschenkt. Dies müssen wir im Blick behalten, wenn es wie jetzt erneut darum geht, die Herrschenden um etwas zu bitten. Ein offener Brief an Merkel mit dem Gesuch, in den türkischen Angriffskrieg gegen Rojava einzugreifen, wird dieses Gesuch nicht in Erfüllung bringen. Warum auch sollten die Vertreter*innen der Unfreiheit die Gesuche der freien Menschen erhören? Wie kamen wir dazu zu glauben, dass Bittstellungen und Kompromisse mit den Machthabenden Unterstützer*innen der Kriegsmaschinerie einen Krieg abwenden können?
Deswegen mahnen wir: Glaubt nicht, dass die Profiteur*innen von Hierarchie denjenigen helfen, die hierarchische Strukturen durchbrechen wollen. Dahingehend muss sich auch vor Augen gehalten werden, dass Kobane per se nicht nicht Freiheit bedeutet. Freiheit ist nichts, was einmalig erkämpft wird und von da an feststehend ist. Freiheit ist ein kontinuierlicher Prozess der Wandlung und bedarf ständiger Selbstreflektion und Aktualisierung. Um diese erkämpfte Freiheit zu wahren, müssen wir auf Kooperation mit den Herrschenden verzichten. Denn wie sich unschwer erkennen lässt, ist die Freiheit in Kobane ständiger Bedrohung ausgesetzt. Doch diese Bedrohungen sollten nicht dazu anregen, unfreie Mittel in ihrer Bekämpfung zu wählen. Dazu gehört auch das Unterdrücken von kritischen Stimmen. Häufiger ist es nun schon vorgekommen, dass die YPG in Rojava kritische Stimmen gewaltsam zum Schweigen gebracht hat. Auch die internen Hierarchien der Selbstverwaltungsstrukturen lassen ein wirklich freies Leben nicht zu. Dies können wir nicht akzeptieren und lässt uns unsere eigene Solidarität auch kritisch hinterfragen. Deswegen muss für ein Fortbestehen eines freien Kobanes auch Annäherung zu Autoritäten, wie zum Beispiel durch Kollaboration mit dem Assad-Regime oder offene Briefe an Regierungen, wie auch auf Unterdrückung der Meinungsfreiheit, verzichtet werden.
Nichts desto trotz ist das heutige Kobane ein Freiraum, der seines Gleichen sucht in dieser Welt, ein Freiraum für dessen Fortbestand es sich weiterhin zu kämpfen lohnt.