Repression und Polizeigewalt jedweder Natur waren auch in diesem Jahr erneut Themen, deren Präsenz sich von Anarchist*innen nicht leugnen ließen. Am deutlichsten traten sie dieses Jahr in den USA hervor. Keinerlei Scheu vor der Anwendung tödlicher Gewalt und ein von Grund auf rassistischer und autoritärer Polizeiapparat sorgten erneut dafür, dass ein Afroamerikaner durch die Polizei ermordet wurde. Wenn man mal davon absieht, dass bereits das komplette amerikanische Justizsystem PoC unverhältnismäßig härter bestraft als Weiße, reicht es auf den amerikanischen Straßen wohl aus, mit einem angeblich gefälschten 20 Dollar Schein zu bezahlen, um um sein Leben fürchten zu müssen. Nicht einmal im Nachgang des Mordes an Floyd versuchte die amerikanische Polizei ihren rassistisch geprägten Militarismus zu verschleiern.
Der Protest gegen eine Armee
Den BLM Demonstrationen wurde so gut wie alles entgegengestellt, was das Polizeiarsenal in den USA hergibt, um Antirassist*innen und Kritiker*innen des amerikanischen Staates gewaltsam von der Straße zu entfernen. Die in Amerika so hoch angepriesenen Ideale der Individualität, Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit gelten offensichtlicher Weise nur für jene, die einen bestimmten Konsenz innerhalb des amerikanischen Systems teilen. Einen faschistoiden, exeptionalistischen, rassistischen, autoritären und kapitalistischen Konsens. So durften weiße Nationalist*innen, die AltRight Bewegung und sonstige Faschos aller Art zum Teil bis an die Zähne bewaffnet aufmarschieren, ohne von der Polizei auf irgendeine Weise belangt zu werden. Spätestens seit in den USA damit begonnen wurde ausrangiertes Militärequipment an die Polizei abzutreten, entwickelte sich die Polizei nur zu einem weiteren bewaffneten Arm des amerikanischen Staates. Dieser Arm steht jetzt mit denselben Taktiken wie das Militär auf der Straße um potentielle Bedrohungen der amerikanischen Werte zu eliminieren. Im Zuge dieser Eliminierungskampagne wurden auch Prinzipien wie die Gewaltenteilung der Exekutive über Bord geworfen. So kam es letzten Endes vor, dass die BLM Demonstrant*innen sich konfrontiert sahen mit einer Kleinarmee, zusammengesetzt aus State Police, Prison Guards, National Guards, dem FBI, Teilen der Army und zum Teil auch einfach aus vermeintlichen Polizist*innen, welche unzuortbar und unkenntlich auftraten. Man sieht, dass sich der Staatsapparat des „Land of free man“ keines Mittels zu schade ist, freiheitliche Bewegungen zu bekämpfen.
Was muss noch passieren?
Doch das Problem liegt auch darin, wie die Allgemeingesellschaft die amerikanische Entwicklung jüngster Zeit betrachtet. Häufig vernimmt man Sprüche wie „wenn das nur so weiter geht“ – doch was soll denn noch geschehen, bis klare Reaktionen kommen? Die Probleme liegen uns bereits im Hier und Jetzt klar vor Augen. Amerika ist nicht verdammt dazu in einer Dystopie zu enden, gesetzt dass sich aktuelle Entwicklungen fortsetzen. Das derzeitige Amerika ist längst eine Dystopie. Doch durch die Annahme, dass die wirklich schlimmen Dinge erst in einer ominösen und undurchdringlichen Zukunft lauern, schränken sich die meisten in ihrer Handlungsfreiheit ein. Doch wollen wir auch nicht die Hoffnungsschimmer am Horizont leugnen. Die BLM-Demonstrationen bekamen sowohl in den USA als auch international massiven Zulauf. Und von Beginn an beschränkten sich viele Demonstrant*innen nicht auf einen friedlichen, zurückhaltenden Protest, der die notwendige Konfrontation scheut, sondern handelten aktiv und direkt auf allen Ebenen gegen das amerikanische System und seine Vertreter*innen. Dass Leute sich nehmen, was ihnen zusteht, dass Bullen auf Sicht attackiert werden, dass gemeinsam organisiert Essen und Getränke verteilt werden, dass man ganze Stadtteile besetzt, dass Polizeiwachen in Flammen aufgehen und sich bewaffnete Gruppen, die sich für die BLM-Bewegung einsetzen und ihre antiautoritären Werte durchsetzen formieren, lässt durchaus Hoffnung zu. Doch für alle Anderen, die sich nicht an derartigen Prozessen beteiligt haben, gilt:
Weg mit der Wahllüge!
Amerika und auch alle anderen Staaten der Welt werden nicht besser dadurch, dass man auf die nächste Gelegenheit wartet, das Regierungsoberhaupt zu ersetzen. Auch ein Joe Biden oder Bernie Sanders wird es nicht wagen, Amerika in seinen Grundfesten zu verändern, geschweige dessen, dass ein*e Politiker*in überhaupt die Intention dazu hat. Als außenstehende NichtAmerikaner*innen ist für uns geradezu peinlich zu beobachten, dass rechtsorientierte Amerikaner*innen, durch Verteidigung ihres Eigentums mittels Waffengewalt, durch Steuerhinterziehung und durch die organisierte Verfolgung von Geflüchteten eher etwas praktiziert, das man als direkte Aktion bezeichnen könnte – im Gegensatz zu den selbsternannten Antirassist*innen und Solidaritätsorientierten, welche der Meinung sind, dass sich durch eine Wahl und eine Verschärfung etwaiger Gesetze die amerikanische Realität verändern ließe. Für alle Jene gilt, lasst euch nicht erzählen, dass friedlicher Protest und parlamentarische Politik ein im Kern destruktives System reformieren könnte! Nutzt die Gesetzgebungen eures Staates gegen ihn, organisiert, bewaffnet und wehrt euch.
Text aus dem Jahresrückblick 2020