Das Jahr 2020 war das Jahr der weiteren Steigerung der Angriffe auf unsere selbstverwalteten / anarchistischen Räume. Schon Anfang des Jahres kündigten sich mehrere Räumungen an, besonders in Berlin. Die Kiezkneipen Syndikat und Meuterei, das „älteste“ autonome Jugendzentrum Potse und das anarcha-queerfeministische Haus Liebig 34 sind nur ein paar von vielen Räumen, die um ihre Existenz bangten.
Doch zurück zum Anfang. Was sind diese Räume überhaupt bzw. was sollten sie unserer Meinung nach sein und wie sind sie überhaupt zu verteidigen? Diese Räume schaffen Platz: Für eine Moral, die sich diametral von der bürgerlichen unterscheidet. Hier gilt nicht das Gesetz als höchstes Gut, sondern die Solidarität. Mögen wir uns in Art und Form von Aktionen unterscheiden, so bieten sie immer Schutz vor Polizei und Strafverfolgung. Es gelten keine Gesellschaftlichen Normen. Jede*r kommt wie sie*er ist und darf und soll so bleiben. Sie sind die Chance Anderen unsere Vorstellung von einem völlig anderem Leben, einem freieren Leben, zu zeigen und schon hier und heute zu leben. Orte zum Träume verbinden und Gefährt*innen finden um den Kampf für Freiheit aufzunehmen. Aber auch um zu rasten, Wunden zu lecken und verlorene Kämpfe zu reflektieren oder gewonnene zu feiern. Es sind Inseln. Inseln in den Städten, die sich für die Reichen herausputzen und uns wie etwas Verdorbenes am liebsten ausspucken würden. Doch soll dies keineswegs ein Loblied auf alle „Zeckentreffs“ werden. Denn wir müssen auch selbstkritisch zugeben, dass viele dieser Räume dieses träumerische Bild nicht mehr oder nie erfüllt haben. Sie sind zu Räumen verkommen, in denen wir uns abgeschottet vom Rest der Gesellschaft unseren Frust von der Seele saufen und den letzten Rebell*innen erklären, dass der Traum von Revolte aus ist. Weil wir bequem geworden sind. Es ist so viel einfacherer im „eigenen Raum“ zu hocken ohne die Grenzen zu sehr zu übertreten. Aus Angst die eigene Wohlfühl-Oase zu verlieren und den Kampf um Freiräume erneut zu kämpfen. Das Verständnis eines solchen Raumes als einen Ausgangspunkt auch für Revolten ist für das Fortbestehen des Raumes um seiner selbst Willen aus dem Bewusstsein getilgt worden. Diese Entwicklung lässt sich an so vielen Orten seit so langer Zeit beobachten. Die Räume sind nicht mehr Ausgangspunkt für den Griff nach Freiheit sondern sind zum Selbstzweck verkommen. Solange der Kühlschrank noch läuft und das Bier kalt ist, kommen wir alle immer wieder, selbst wenn der schon damals etwas ranzig wirkende Laden mittlerweile einem Loch gleicht und die Klos riechen, als ob niemand sie jemals geputzt hätte.
Sollten wir diese Räume aufgeben…
…und einen Kampf um sie gar nicht erst eingehen? Dazu ein klares und unmissverständliches NEIN. Ein Text aus Berlin beschrieb es mal so treffend: „Wir entscheiden selbst, wann ein Projekt gescheitert ist!“ Ob und wann ein Projekt beendet wird, dürfen wir nicht den Staat entscheiden lassen. Denn selbst ein gescheitertes Projekt kann als Symbol und als Funken dienen für einen oder viele aufständische Momente. Denn so lassen sich selbst Räume, die nur noch als Konsumraum genutzt werden, wieder positiv besetzen. Wenn die Räumung einer schranzigen Kiezkneipe 10.000.000 Euro kostet, wird der Staat es sich zweimal überlegen, ob er sich auch noch an das viel genutzte und geliebte AZ wagt. Denn auch die räudigste Kneipe hat für die Wenigen, die sie noch nutzen, einen Wert und so finden auch sie so wieder einen Weg aus ihrer eigenen Ohnmacht vor dieser Welt und nur vielleicht finden auch sie Gefährt*innen, um dann den Kampf gegen eine Welt, die sie nicht will, wieder aufzunehmen. Im Juli schlugen die Schergen mit einer ominösen Hausverwaltung und der Lusche an die Pforten der Rigaer 94. Über 3 Tage folgte eine Eskalation. So brachen sie ihre eigenen scheiß Gesetze und gingen ohne Durchsuchungsbeschluss in Wohnungen, durchbrachen Wände, montierten Türen ab und verprügelten Anwohner*innen. Dank stabiler Wände und stabilem Widerstand der Bewohner*innen ging es am Ende für die Rigaer glimpflich aus. Das Haus steht, die Leute sind noch drin. Doch was waren die Reaktionen außerhalb des Hauses, des Kiezes, Berlins? Es war eher ruhig. Nein, nicht ganz, Twitter tobte natürlich wieder und niemand konnte schnell genug einen Tweet absetzen. Nichts gegen Grußbotschaften an Gefährt*innen, aber haben wir verlernt unserer Solidarität auch anders Ausdruck zu verleihen? Wir wollen nicht unterschlagen, dass es ein paar kleine Funken gab und die ihren Weg auch nach Lübeck geschafft haben: Hier hat man seiner Wut Ausdruck verliehen, indem man die Parteibüros der Berliner Regierungsparteien angriff. Doch wieso scheint es so, als ob häufig abgesehen vom Poserbild nichts mehr vortsellbar ist, um Solidarität zu mehr zu machen als einer bloßen Floskel auf Twitter? So ging es das Jahr über weiter, auch als das Syndikat geräumt wurde. Kurz vorher noch eine doch recht mutige und von Beginn an offensive Demo, doch diese Energie konnte nicht weitergetragen werden. Massenaktionen und Demos sind durchaus auch kritikwürdig, so sorgen sie doch immer wieder dafür, dass neue Menschen ohne Anbindung an unsere Strukturen kämpfen und dann im System der Repression verloren gehen, weil wir sie nicht kennen. Deshalb wäre ein Kleingruppenkonzept auch möglich gewesen. Es wäre sinnvoll diese Taktik wieder einer breiteren Masse an widerständischen Menschen nahe zu bringen, da sie weitaus weniger repressionsbelastet ist und jede*r an ihr partizipieren kann. Jede*r kann einen eigenen Plan schmieden, entscheiden wie weit sie*er geht. Die Bullen hätten keine Chance alle Funken zu löschen und müssten zusehen, wie nach und nach ein Flächenbrand entsteht. Träumen wir, wenn wir sagen es gibt 1000 Autonome in Berlin? 1000 Autonome gleich 1000 brennende Autos. Oder wenn es lieber Zweierteams sind, dann 500. Das ist utopisch gedacht, das ist uns klar, es soll einfach nur verdeutlichen wie viel mehr wir eine Gefahr darstellen könnten, wenn wir unseren Solibekundungen auch Taten folgen lassen. Eine Gefahr müssen wir sein, wenn wir uns mit dem Staat und seinen Schergen anlegen wollen. Vor 30 Jahren ging das doch auch und die Bullen haben niemanden bekommen. Doch scheinbar durchdringt das Konzept der Bewegungsmanager*innen, die egal wann und wo die Bewegung versuchen in die eine oder andere Richtung zu steuern und ihr ihren Stempel aufzudrücken, immer mehr eine tatsächlich autonome Praxis. Solifoto, offener Brief, Demo und Blockade …und nochmal von vorn. Da wundern wir uns wirklich, dass sich so viele frustriert abwenden, wenn nicht mal mehr der kleinste befreiende Moment, der Moment wenn der Stein das Fenster durchschlägt, die Bullen in einem Regen aus Flaschen das Weite suchen, noch vorkommen, geschweige denn, dass man sich vorstellen könnte es wäre so etwas möglich.
Ein grundsätzliches Problem
Nun schlagen wir wie viele andere wieder auf Berlin ein, doch darum geht es gar nicht. Es ist ein grundsätzliches Problem. Um die jüngsten Besetzungen in Leipzig scheint sich eine andere Herangehensweise anzukündigen. Mit viel Interesse verfolgen wir dort die Entwicklung militanter Praxis und den Umgang mit Repression bzw. Angriffen auf unsere Räume. So sammelten sich dort drei Nächte in Folge als Reaktion auf Räumungen Menschen, die tatsächlich bereit waren zu kämpfen und das von Beginn an den Bullen und allen anderen Autoritäten auch so kommuniziert haben. Solche Momente schenken Hoffnung und zeigen, dass es auch hier möglich ist, zu kämpfen und so tatsächliche Solidarität zu zeigen. Bei dem ganzen wollen wir auch nochmal auf die Aktion in Lübeck eingehen und zeigen, dass es wichtig, richtig und notwendig ist, eine militante Praxis zu verteidigen. Denn nach dem Angriff auf die Parteien in Lübeck schrieb die Partei Die Linke Lübeck folgendes: „Gleichzeitig möchten wir uns für alle Solidaritätsbekundungen und Spenden bedanken, die uns bereits erreicht haben, auch aus dem autonomen linken Spektrum. Dafür sagen wir von Herzen DANKE und hoffen darauf, dass es keine weiteren Vorfälle gibt, sondern das gesprochene Wort in Zukunft eine Brücke schlagen kann und weiteren Vandalismus verhindert.“ Wir wissen nicht, wer mit „auch aus dem autonomen linken Spektrum“ gemeint ist. Wer sich jedoch als autonom versteht und des Grundes der Attacke auf die Linkspartei, als mitregierende Partei in Berlin, also Teil der Schweine, die unsere Freund*innen bedrohen und aus ihrem Haus werfen wollen, bewusst ist und sich trotzdem mit diesen solidarisiert, zeigt nur zu deutlich wo die Probleme in einer vermeintlich radikalen Bewegung liegen. An scheiß Karrieristen, die hoffen wenn sie einmal vermeintlich zu alt zum Steine schmeißen oder rebellieren sind, sich ins gemachte Nest der Partei legen zu können.
Nochmal deutlich:
Egal welche Partei, egal welche Organisation und wie sehr sie sich auch „links“, „alternativ“ etc. auf die Wimpel klebt wird unsere Wut, unseren Hass und bei Bedarf auch Steine ernten, wenn sie sich zwischen uns und ein freies Leben stellen. Und zu diesem Leben gehören unsere Räume. Nehmt ihr sie uns ab, haun wir euch eure platt. Wir brauchen euch nicht um uns zu befreien, denn ihr seid Teil des Problems. Gegen jede Autorität, egal wie revolutionär, antifaschistisch oder sonst wie sie sich gibt!
Text aus dem Jahresrückblick 2020