Seit zwei Jahren veranstalten einige Menschen in Lübeck mit wechselnder Besetzung und sehr unterschiedlicher Personenstärke „Spaziergänge“, Autokorsos, Kundgebungen und Demonstrationen für das Grundgesetz und Grundrechte und gegen eine angebliche „Corona-Diktatur“. Jetzt Anfang 2022 befindet sich diese Bewegung auf ihrem bisherigen Höchststand, mit teilweise fast 2000 Querdenker*innen, die durch Lübecks Innenstadt ziehen. Sie stellen sich als bürgerlich, friedlich und regierungskritisch vor. Das Wort „Freiheit“ wird viel genutzt. Doch wie setzt sich diese Bewegung wirklich zusammen und was sind ihre Absichten?
Seit Beginn 2020 begleitet uns eine Pandemie. Wurde Covid-19 am Anfang noch stark unterschätzt und kleingeredet, so folgten teils massive Einschränkungen des Privat- und Berufslebens auf Basis des Infektionsschutzgesetzes seitens unserer Regierung. Einige nachvollziehbarer als andere. So wurden sämtliche Läden geschlossen, das Privatleben quasi komplett heruntergefahren, doch die Arbeit läuft bei vielen weiter wie gewohnt. Die Folge sind Ansteckungen am Arbeitsplatz, auf die weder die Arbeitgeber*innen noch der Staat angemessen reagieren, ganz nach dem Motto, die Wirtschaft dürfe nicht leiden. Damit Deutschland in den Genuss seines alljährlichen Spargels kam, ließ man ca. 40.000 Rumän*innen einfliegen, die unter schlechtesten Bedingungen Leben und Arbeiten mussten. Im Winter erfrieren Obdachlose auf deutschen Straßen, während Maklerfirmen und Hotels ihre Wohnungen und Zimmer leer stehen lassen. Der Profit steht wie immer vor dem Leben. Das kaputte Gesundheitssystem mit zu wenig Beschäftigten, die schlecht bezahlt werden, wird nicht mit Steuergeldern gerettet, obwohl es diejenigen sind, die wir am Dringendsten brauchen. Stattdessen regnet es Hilfen für Fluggesellschaften und Kaufprämien für Autos. Der Aufruf zum social distancing ging auch nur bis zur deutschen Grenze. Die Menschen an der polnischen Grenze, Moria und anderen Geflüchtetenlagern werden sich selbst überlassen. Abstand halten und Hygieneregeln beachten ist dort nicht möglich.
Auch der Umgang mit den Impfstoffen lässt sehr zu wünschen übrig. Während die westlichen Länder und der globale Norden sich mehr oder weniger gut mit Impfstoffen eindecken konnten, ging der ärmere Rest der Welt so gut wie leer aus. Während wir hier in Deutschland über eine Impfpflicht diskutieren liegt die Impfquoten in anderen Ländern bei ca. 10 %. Nicht, weil man sich nicht impfen lassen will, sondern weil einfach kein Impfstoff da ist. Dieses Problem beruht natürlich darauf, dass Pharmakonzerne auf ihr Patentrecht bestehen, um möglichst viel Profit aus den Impfstoffen zu gewinnen. Des Weiteren sind ärmere Länder natürlich nicht so zahlungskräftig wie z. B. unser dekadentes Deutschland, wo wir es uns anscheinend erlauben können tagtäglich etliche Dosen ungenutzten Impfstoffes wegzuwerfen.
Also ja, es gibt durchaus Kritik daran, wie mit dieser Pandemie umgegangen wird. Doch was ist die Kritik der sog. Querdenker*innen?
Diese falschen Kritiker*innen interessieren sich nicht ansatzweise für all die sozialen Verfehlungen, die im Rahmen des Pandemiemanagements geschehen sind. Diejenigen, die unter den unverhältnismäßigen Maßnahmen wirklich leiden sind ihnen egal, es geht nur um ihre eigene egoistische Auslegung von Freiheit. Wo waren denn die Querdenker*innen als im Sommer 2021 Jugendliche von der Polizei aus den Parks geprügelt wurden? Wo waren sie als Linke Demos unter dem Vorwand des Infektionsschutzes verboten wurden? Hat sich Querdenken etwa darüber aufgeregt, dass unzählige Menschen in Kurzarbeit geschickt, gekündigt wurden oder bankrott gegangen sind? Auch dazu, dass Menschen sich in Großraumbüros und Fabriken angesteckt haben, aber ihre Freizeit dafür dann alleine Zuhause verbringen mussten, haben sie selbsternannten „Systemkritiker*innen“ kein Wort verloren. Vor allem aber sind ihnen all die (chronisch) Erkrankten, Toten und Risikopatient*innen komplett egal. Weltweit (Stand Anfang 2022) sind 5 Mio. Menschen und davon in Deutschland 100.000 Menschen an und mit Covid-19 verstorben. Diese Toten werden entweder geleugnet, ignoriert, oder relativiert. Stattdessen regt man sich darüber auf im Supermarkt eine Maske tragen zu müssen oder nicht mehr Party machen zu können. Die „Querdenker*innen“ handeln rein egoistisch und für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse lassen sie ganz schnell auch mal diejenigen Menschen über der Klinge springen, die wirklich von dieser Pandemie betroffen sind. Mit ihren Erzählungen darüber, wie schlimm es ist, seine älteren Verwandten oder Freund*innen nicht mehr umarmen zu dürfen, lenken sie davon ab, dass man eigentlich, wenn man sein näheres Umfeld schützen will, auf eben diesen Kontakt verzichtet. Rücksichtnahme auf die körperliche Unversehrtheit unserer Mitmenschen ist ganz einfache und gelebte Solidarität, doch das ist den „Querdenker*innen“ ein Fremdbegriff.
Der Rest dieser „Freiheitskämpfer*innen“ verliert sich in Verschwörungserzählungen, mal mehr, mal weniger antisemitisch, aber immer brandgefährlich. Statt ernsthafte Kritik zu äußern, werden lieber Grundannahmen der Wissenschaft geleugnet oder die Existenz bzw. die Gefahr des Virus komplett geleugnet. Diese Menschen sind weder einer großen Verschwörung auf der Spur, noch geht es ihnen um tatsächliche Freiheit. Vor allem sind auch hier in Lübeck die allwöchentlichen „Spaziergänger*innen“ von Nazis und anderen Faschist*innen durchzogen. Gerade die AFD und die NPD, sowie deren Jugendorganisation, „Junge Nationalisten“ (JN) treten in Lübeck häufig in Erscheinung im Rahmen der „Corona-Proteste“. Verschiedenste JN-Mitglieder haben hier schon als Ordner mitgewirkt, sowie ihre Fahne zu Demos mitgenommen. Des Weiteren ist Sara Lauterbach eine Mitorganisatorin der Demos. Sie hat beste Kontakte in die rechtsextreme Szene und zu Nazi-Bands. Sie ist ebenfalls mitverantwortlich dafür, dass andere Nazis in der Ordnerstruktur mitwirken. Auch AFD Landtagsabgeordnete wie Claus Schaffer werden immer wieder hier in Lübeck auf Veranstaltungen des Querdenken-Umfelds beobachtet. In diesen Demos haben verschiedenste örtliche Rechte eine neue Bühne für ihre Ideologie gefunden. Hier zeigt man sich noch nicht so ganz offen neonazistisch, wie auf „Spaziergängen“ in anderen Bundesländern, doch der Anteil an Nazis ist auch hier nicht zu leugnen. Da hilft es auch nicht, wenn der „Spaziergang“ durch die Altstadt Anfang Januar von einem Transparent mit Sophie Scholl Zitat angeführt wird, wenn dies dann von NPD und AFD Leuten gehalten wird.
Auch das Bild von ihrem vermeintlich friedlichen Auftreten lässt sich schnell widerlegen. Menschen, die sich gegen die Querdenker*innen bei ihren Veranstaltungen positioniert haben, wurden schon bedroht, nachgelaufen, körperlich angegangen, festgehalten, angehustet, online geoutet oder auf den Auto-Korsos auch immer wieder fast angefahren. Klar ist nicht jede*r Mensch, der offen ist für das, was Querdenken so verlauten lässt oder auf einem ihrer Spaziergänge mitläuft, ein gewaltbereiter Neonazi, aber im geringsten Fall toleriert man mit der Unterstützung von Querdenken genau diese Leute. Wir sehen ein, dass unser Staat in dieser Pandemie allzu häufig versagt hat. Durch die „Masken-Deals“, die sich jeden Tag ändernden Maßnahmen, die widersprüchlichen Aussagen zur Wirksamkeit von Tests, Impfungen und Maßnahmen, die nicht gehaltenen Versprechen unserer Politik und die Ausnutzung vieler Maßnahmen, um den starken und repressiven Staat zu stärken herrscht natürlich Verunsicherung. Dieses Misstrauen in den Staat ist durchaus berechtigt. Auch wir vertrauen diesem Staat nicht, da er uns noch nie Anlass dazu geboten hat, genauso wie wir auch weiterhin z. B. wollen, dass das Impfen eine freie Entscheidung bleibt. Dennoch erkennen wir die Ernsthaftigkeit dieser Pandemie an und rufen dazu auf, sich solidarisch zu verhalten, um gemeinsam wieder aus dieser Lage herauszukommen. Dazu gehört für uns auch sich Impfen zu lassen, Maske zu tragen, Abstand zu halten und ähnliches. Dies tun wir jedoch nicht, weil der Staat es so will, sondern weil wir erkennen, dass es notwendig ist, um diese Pandemie nicht noch schlimmer werden zu lassen. Querdenken im Gegensatz dazu leugnet einfach die Gefahr, marschiert mit Nazis, greift nicht gleichgesinnte an und schimpft auf die vermeidliche Diktatur und versteckt sich dann doch hinter der Polizei, wenn ihnen mal jemand mit Nachdruck die Meinung sagt. Wir alle wollen, dass die Einschränkungen, die wir erfahren, enden, aber dies schaffen wir nur mit Solidarität und einer legitimen Kritik am Staat und seinem Pandemiemanagement. Ganz sicher jedoch nicht mit Querdenken. Querdenken ist keine Alternative.